Gespannfahren lernen

In Deutschland darf jeder mit einem Motorradgespann fahren, der den entsprechenden Motorradführerschein (Fahrerlaubnis) erworben hat. Einen speziellen Führerschein für Gespanne gibt es nicht.

Gespannfahren lernen: Wie es im Beitrag Theorie zum Gespannfahren ersichtlich wird, ist ein Motorrad mit Beiwagen ist anders zu lenken (weil zweispurig) als ein Solomotorrad (einspurig). Es lenkt sich im Prinzip wie ein Auto, nur mit Lenkstange statt mit Lenkrad.

Für Fahrer ohne Zweiraderfahrung ist das Gespannfahren kein Problem.

Zweiradfahrer, insbesondere mit langjähriger Fahrpraxis, brauchen eine gewisse Zeit zum Umgewöhnen - dann können sie Beides: Zweirad und Dreirad fahren.

Ausnahme: Wer mit einer Behinderung eine Motorrad-Fahrerlaubnis erwirbt, jedoch nur ein Motorrad mit Beiwagen fahren kann und auch darauf seine Ausbildung und Prüfung macht, dem wird in die Fahrerlaubnis eingetragen, dass diese nur für Motorradgespanne gilt.

 

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Gespannfahren lernen

(Texte aus dem Buch "Das 1x1 für Gespannfahrer", Ausgabe 2008)

 

1. Gespannfahren lernen

 

Gespannfahren ist außergewöhnlich. Ob alleine, mit Beifahrer, mit Kindern oder mit Hund – der Spaßfaktor ist einmalig, vorausgesetzt, der Fahrer/die Fahrerin fühlt sich auf dem Gespann sicher. Mit etwas Übung kann jeder diese Sicherheit erlangen.

Obwohl der Motorradführerschein die Gespannfahrerlaubnis einschließt, sind die Fahreigenschaften des Dreirads mit dem des Zweirads nicht vergleich­bar. Der Grund liegt im asymmetrischen Fahrwerk – die Aufstandspunkte der Räder bilden ein unregelmäßiges Dreieck. Zudem unterscheiden sich auf Grund der verschiedenen Fahrwerkskonstruktionen die Fahreigenschaften deutlich.

 

Hier werden einige Extremsituationen geschildert, um die Dynamik deutlich zu machen.

 

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2. Die Fahreigenschaften

 

Wenn ein erfahrener Solofahrer erstmals auf ein Gespann steigt, lässt er sich auf etwas völlig Neues ein. Das Einspurfahrzeug wurde zum Mehrspurfahrzeug mit gänzlich anderen fahrphy­sikalischen Eigenschaften. Bei letzterem lenkt der Fahrer/die Fahrerin immer in die gewollte Fahrtrichtung – also bei einer anstehenden Rechtskurve nach rechts, vor Linkskurven nach links.

 

Beim Solomotorrad (Einspurfahrzeug) gibt es aufgrund der so genannten Kreiselkräfte ein gegensätzliches Lenkverhalten. Das bedeutet, dass zunächst leicht in die entgegengesetzte Richtung gelenkt werden muss (Lenkimpuls). Erst dadurch wird die notwendige Schräglage eingeleitet, die zum Durchfahren der Kurve notwendig ist. Diesen gegenläufigen Lenkimpuls vollführen wir unbewußt, seit wir als Kinder Fahrrad fahren lernten.


Wirkung der Kreiselkräfte

Wer schon einmal an einem Solo-Sicherheitstraining teilnahm, hat dort den Lenkimpuls trainiert.

So kann beim Zweirad eine Kurve nicht durch Einlenken in die gewünschte Richtung eingeleitet werden. Laufradspuren auf Sand oder Schnee zeigen, dass zunächst eine leichte Lenkbewegung in die entgegengesetzte Richtung erfolgt.

Schlüge man einfach nach links ein, bewegte sich die Auflagefläche des Reifens nach links unter dem Schwerpunkt weg, so dass die Schwerkraft ein Kippen nach rechts bewirken würde. Um die Kurve zu fahren, ist aber grundsätzlich eine Neigung in die gewünschte Kurvenrichtung, in diesem Falle nach links, notwendig.

Um das Rad in diese Schräglage zu bringen, muss es zunächst durch eine der gewünschten Richtung entgegengesetzte (kurze und leichte!) Lenkbewegung zum Kippen gebracht werden.

Genau hier liegt das Problem für den Gespann-Neuling. Setzt sich ein geübter Solofahrer auf ein Gespann, sind ihm seine Solo-Reflexe hinderlich, er muss neue erlernen. Der gegenläufige Lenkimpuls zum Einleiten der Kurve muss "abgeschaltet" werden.

Gefährlich wird der alte Solo-Reflex, wenn auf Grund einer Gefahrensituation spontan reagiert werden muss. Der Solofahrer versucht, die brenzliche Lage mit einem Lenkimpuls zu bewältigen. Bei einem Gespann ist dieser Zweiradreflex verkehrt. Gespannmäßig muss jetzt mit deutlich mehr Kraft in die andere Richtung gelenkt werden.
Der erforderliche Kraftaufwand für den abrupten Richtungswechsel wird von Neulingen zunächst unterschätzt.

Hinzu kommt das unterschiedliche Fahrverhalten des Gespanns bei Rechts- und Linkskurven. Rechts herum muss mit einem steigenden Seitenwagen gerechnet werden, links herum kann sich das Gespann trotz des stützenden Beiwagenrades über die Kippachse Vorderrad-Beiwagenrad überschlagen. Der Neuling hat sich also zunächst mit einer höchst komplexen Aufgabe zu beschäftigen.

 

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Kurvenfahren

 

In Abhängigkeit von Geschwin­digkeit und Kurvenradius kann das Beiwagenrad abheben: Stress für den Neuling, Spaß für den Erfahrenen.

 

Die Rechtskurve

Betrachten wir zunächst die Rechtskurve. Wird sie zu schnell angefahren, so steigt das Beiwagenrad in Abhängigkeit von Geschwin­digkeit und Kurvenradius (bei rechts montiertem Beiwagen). In diesem Fall versucht der Fahrer, die Geschwindigkeit und somit die Fliehkräfte zu verringern, also entweder bremsen oder geradeaus lenken.
Sobald die Fliehkräfte aufgrund der Reduzierung der Geschwindigkeit oder durch Vergrößerung des Kurvenradius entsprechend verringert sind, wird das Seitenwagenrad wieder Fahrbahnkontakt bekommen. Bei diesem Manöver kann das Gespann auf die Gegenfahrbahn kommen.

 

Die Linkskurve

Die meisten Neulinge sind in Linkskurven sehr schnell, sehr mutig und damit auch recht flott unterwegs. Passieren kann ja nichts, da gibt es ja dieses “Stützrad”, umfallen ist daher nicht möglich. Oder vielleicht doch?

 

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Der Schwerpunkt (S) ist ein Angriffspunkt der Kräfte. Beim Beschleunigen ziehen sie an ihm nach hinten, beim Bremsen nach vorne; in Rechtskurven nach links, in Linkskurven nach rechts. Durch die einzelnen Kräfte (Fliehkräfte, Massenträgheitskräfte, Gravitationskräfte, Reibkräfte der Reifen) ergibt sich ein neuer fiktiver "Schwerpunkt" Sf, der in Ruhe mit S übereinstimmt, beim Fahren aber wandert. Verlässt dieser fiktive "Schwerpunkt" das Dreieck der drei Radaufstandsflächen, kippt das Gespann.

 

Die obige Skizze gibt dazu einige Antworten. Man sieht hier eine schräg zur Fahrtrichtung stehende Achse 1, die durch das Vorder- und Seitenwagenrad definiert wird. Beim Durchfahren einer Linkskurve wird sich der Schwerpunkt S aufgrund der auftretenden Fliehkräfte in Richtung dieser Achse 1 verlagern. (Für Physiker: Natürlich bleibt S an Ort und Stelle; vielmehr wandert ein fiktiver Schwerpunkt Sf, der in Ruhe mit S übereinstimmt.) Sobald Sf aufgrund zu hoher Geschwindigkeit oder eines plötzlich auftretenden Hindernis' vor diese Achse wandert, wird sich das Gespann über die Achse 1 überschlagen.

 

 

 

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Der Schwerpunkt Sf ist über die Achse 1 hinausgewandert. Das Gespann kippt. Das Hinterrad hebt ab, die Beiwagenschnauze berührt den AsphaltD (Abb. von Wolfgang Lorenz, www.prosidecar.de)

 

Die Handlungsoptionen

Bremst der Fahrer das Gespann stark ab, um die Fliehkräfte zu reduzieren, besteht die Gefahr, dass der Schwerpunkt Sf über die Achse 1 hinaus verlagert wird, was zu einem Überschlag führen kann. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass der Gespannneuling, bevor er ans Bremsen denkt, reflexartig das Gas weg nimmt.

 

Bei allen Mehrspurfahrzeugen, also auch beim Gespann, ist die Hinterachse die richtungsstabilisierende Achse. Das bedeutet: Sobald das Hinterrad den Fahrbahnkontakt verliert, führt nur noch das nicht gelenkte Seitenwagenrad. Da dies aber nicht in der Spur des gelenkten Vorderads läuft, wird das Fahrzeug aus einer in Fahrrichtung orientierten Bewegung in eine kreiselnde Bewegung gezwungen. So wird das Gespann sofort in eine starke und nicht kontrollierbare Linksdrehung gehen. Es folgt eine 180° Wende.

 

Zusammenfassung für die zu schnell gefahrene Linkskurve: Starkes Bremsen und Gas Wegnehmen geht nicht. Also alle Maßnahmen zur Geschwindigkeits-Reduzierung, die bei der Rechtskurve so nützlich waren, helfen in der Linkskurve nicht weiter. Ganz im Gegenteil, sie verschlimmern die Situation! Die einzig wirksame Maßnahme ist Lenken nach rechts – in der Hoffnung, dass dort noch Fahrbahn übrig ist.

 

Für den Gespann-Anfänger gilt: Kurven langsam fahren. Dass Kurven mit einem Gespann auch sehr schnell gefahren werden können, wird man einige tausend Kilometer später oder vielleicht bei einem Fortgeschrittenenkurs herausfinden.

 

 

3. Bremsen mit dem Gespann

Betrachten wir auch hier zunächst die Unterschiede von Solomotorrad und Gespann. Bei der Mehrzahl der Zweiräder wirkt der Handbremshebel auf die Vorderrad- und der Fußbrems­hebel auf die Hinterradbremse. Ausnahmen: Manche Moto Guzzi, neue Hondas sowie das aktuelle Bremssystem von BMW, also Maschinen mit teil- oder vollintegralem Bremssystem.

 

Das bedeutet, dass der Ablauf des Bremsvorgangs beim Solomotor­rad immer derselbe ist. Auf Grund der dynamischen Achslastverlage­rung nach vorne übernimmt die Vorderradbremse die Hauptlast der Verzögerung. Bei Geradeausfahrt mit dem Solomotorrad haben die Reifen bei der Bremsung lediglich Bremskräfte zu übertragen.

 

Die angebotenen Bremskombinationen der verschiedenen Gespannhersteller sind vielfältig, ebenso die daraus resultierenden Reaktionen des Fahrzeugs.

Hier fünf Beispiele von möglichen Bremskombinationen und deren Auswirkungen bei einer Not- oder Vollbremsung:

 

Variante 1:

Vorderradbremse auf der Handbremse, Hinterradbremse auf der Fußbremse, Seitenwagen ungebremst.

Diese Bremse stammt aus der Zeit unserer Urgroßväter. Die Gespanne hatten zehn oder 20 PS und erreichten eine Geschwindigkeit von maximal 80 bis 100 km/h. Da der Seitenwagen nicht verzögert ist, wird das Gespann beim Bremsen versuchen, nach links auszubrechen. Wie stark es dies tut, hängt vom Beladungszustand des Seitenwagens ab.

 

Variante 2:

Vorderradbremse auf der Handbremse, Hinterradbremse auf der Fußbremse, Seitenwagenrad gebremst und ebenfalls an der Fuß­bremse angeschlossen (die Standardbremse der letzten 30 Jahre).

Beim Betätigen der Handbremse neigt das Vorderrad zum Überbrem­sen, insbesondere bei der Verwendung einer groß dimensionierten Solobremsanlage. Das Gespann kann nach links in den Gegenver­kehr schieben. Bei Verwendung der Fußbremse neigt das Gespann zu einer Rechtsdrehung. Nur die abgestimmte Betätigung beider Bremsen gewährleistet das Spurhalten.

 

Variante 3:

Vorderrad- und Seitenwagenradbremse auf der Handbremse, Hinter­radbremse alleine auf der Fußbremse.

Bei Betätigung des Handbremshebels kann ein neutrales Bremsver­halten erwartet werden, das Fahrzeug bleibt also in der Spur. Beim Einsatz der Fußbremse sollte ein Überbremsen des Hinterrades vermieden werden (siehe Variante 4). Diese Kombination findet man häufig bei leichteren Gespannen mit geringer Spurbreite.

 

Variante 4:

“Die High-Tech-Bremse” – Vorderrad, Hinterrad und Seitenwagenrad auf der Fußbremse, zusätzlich Vorderrad und Seitenwagenrad auf der Handbremse (also je zwei Brems­sättel an Vorder- und Seitenwagenrad).

Mit dem Fußbremshebel werden alle 3 Räder verzögert. Über die Handbremse wird das Hinterrad nicht verzögert, da lediglich die Vorderrad- und Seitenwagenradbremse angeschlossen sind. Der Vorteil hierbei ist, dass das richtungsstabilisierende Hinterrad bei der Betätigung der Handbremse nicht der Gefahr des Überbremsens ausgesetzt ist. Die Tendenz zu einer Dreh-/Schleuderbewegung ist somit geringer.

 

Variante 5:

“Doppelt genäht hält besser” – Vorderrad-, Hinterrad- und Seitenwagenradbremse jeweils auf Hand- und Fußbremshebel, also immer alle drei Räder gebremst. Alle Räder werden gleichzeitig abgebremst und dadurch eine nahezu optimale Verzögerung des Gespannes erreicht.

 

 

Fazit

Jedes Bremssystem verleiht dem jeweiligen Fahrzeug ein anderes Bremsverhalten. Je stärker man bremst, desto deutlicher sind die unterschiedlichen Fahrzeugreaktionen. Deshalb ist es sinnvoll, möglichst mit dem eigenen Gespann an einem Sicherheitstrai­ning teilzunehmen.A

 

 

Beispiele

Anhand der Variante 2 soll das Bremsverhalten eines Gespanns mit einem Doppelsitzerboot und einer Spurbreite von 1,40 Metern dargestellt werden. Das Fahrzeug wird hierbei nur mit der Fußbremse verzögert, dabei werden beide Räder, also Hinterrad und Seitenwagenrad, zum Blockieren gebracht.

Während eines Bremsvorganges mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h dreht sich das Gespann um nahezu 90° in Fahrtrichtung gesehen nach rechts. Warum?

 

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S = Schwerpunkt
A = Abstand des Schwerpunktes zur Radachse des Hinterrades
B = Abstand des Schwerpunktes zur Radachse des Seitenwagenrades

 

Auf der Abb. oben markiert S den Schwerpunkt, also den Punkt, auf den alle am Fahrzeug angreifenden Kräfte einwirken.
A ist der Abstand des Schwerpunktes zur Radachse des Hinterrades, B der Abstand des Schwerpunktes zur Radachse des Seitenwagenrades.

Bei vorher erläuterter Bremsung erzeugt man im Hinterrad eine Bremskraft, die über den Hebelarm A im Schwerpunkt auf das Fahrzeug wirkt und somit eine Drehung des Fahrzeuges nach links erzeugt.

 

Am Seitenwagenrad erzeugt man ebenfalls eine Bremskraft, die über den Hebelarm B im selben Schwerpunkt auf das Fahrzeug wirkt und eine Drehung nach rechts erzeugt. Da der Hebelarm A auf Grund der Breite des Fahrzeuges und der exzentrischen Lage des Schwerpunktes wesentlich kürzer ist als Hebelarm B, resultiert hieraus in der Summe eine Drehung des Fahrzeuges nach rechts.P

 

Sitzt eine Person im Seitenwagen, ändert sich die Lage des Schwerpunktes S so, dass dieser weiter nach rechts wandert. Hierdurch werden die beiden Hebelarme A + B in der Länge ähnlicher, und das Gespann dreht sich wesentlich weniger nach rechts.

Diese Drehung des Gespannes war nur möglich, da das Hinterrad als richtungsstabilisierende Achse blockierte und somit keine Seitenfüh­rungskräfte mehr aufbauen konnte, die die Drehbewegung verhindert hätten.

 

Bei der hier angenommenen Geschwindigkeit von 50 km/h kann ein geübter Fahrer die Situation beherrschen. Dramatisch wird die gleiche Situation jedoch mit Tempo 80 km/h. Angenommene Situation: Landstraße mit Gegenverkehr. Auch hier erfolgt eine Voll-/Blockierbremsung mit der Fußbremse. Das Fahrzeug beginnt sich zu drehen, der Fahrer bekommt auf Grund von Gegenverkehr, Leitplanken etc. Panik und lässt blitzartig die Bremse los.

 

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Das Spiel mit der Fliehkraft.

 

Jetzt passieren einige Dinge fast gleichzeitig: Durch das Lösen der Bremse kann sich das Hinterrad wieder drehen und baut wieder Seitenführungskräfte auf. Dadurch will das Gespann schlagartig zurück in Fahrtrichtung zu kommen.

 

Die vorhandene Rechtsdrehung des Gespannes hat zur Folge, dass das Boot in die Höhe schnellt und sich ohne jegliche Reaktionsmöglichkeit für den Fahrer über die Achse 2 “Vorderrad-Hinterrad” überschlägt.

 

Nimmt man statt der Fuß- alleine die Vorderradbremse (Handbremse) zum Bremsen des Fahrzeuges, wird das Fahrzeug je nach Gewicht und Beladung des Seitenwagens mehr oder weniger nach links und somit in den Gegenverkehr ausbrechen. Erklärung: Beim Blockieren des Gespann-Vorderradreifens werden außer der Bremskraft auch Seitenführungskräfte übertragen, die vom Seitenwagen hervorgerufen werden.

 

Der Reifen kann nur eine bestimmte Summe von Kräften übertragen. Dies bedeutet zum einen, dass er früher zum Blockieren neigt als bei einem Solomotorrad (entscheidend ist die Summe der Kräfte) und zum anderen, das beim Blockieren des Vorderrades die zur Geradeausfahrt notwendigen Seitenführungskräfte nicht mehr übertragen werden können. In diesem Fall bewirkt die träge Masse des Seitenwagens eine Drehbewegung des Gespannes nach links.

 

Bei dieser Art des Bremssystems (Variante 2) ist also penibel darauf zu achten, dass beide Bremsen möglichst gleichzeitig betätigt werden, um ein Ausbrechen des Fahrzeuges zu vermeiden. Zudem werden die geschilderten Bremsreaktionen mit zunehmender Breite des Gespannes stärker.

 

Fazit

Bei den heutzutage angebotenen Motorleistungen für Ge­spanne und den daraus resultierenden Fahrleistungen sollte bei einem Gespannneubau nach Möglichkeit eine Kombinationsbremse wie in Variante 4 oder 5 verwendet werden.

 

Egal welches Bremssystem verbaut wurde, es muss auf Grund der Asymmetrie des Fahrzeugs in Verbindung mit der Beladung und der Fahrbahnbeschaffenheit immer mit einer schwer einschätzbaren Bremsreaktion gerechnet werden.

 

Um die Kontrolle über das Gespann zu behalten, wird durch den dosierten Einsatz der Fuß- oder Handbremse ein Ausbrechen verhindert. Dieser dosierte Einsatz ist nicht ohne weiteres sofort zu beherrschen und sollte trainiert werden, um ein sichereres Fahren zu ermöglichen. Wie überall gilt auch hier: Übung macht den Meister.

 

Umstritten ist, ob in Zeiten technisch hoch moderner PKW-Bremsanlagen ein ABS-geregeltes Bremssystem auch in Gespannen hilfreich und wünschenswert wäre. Fraglich ist, ob die bereits bei Solomotorrädern unsinnigen, weil nicht funktionierenden Antiblockiersysteme in asymmetrischen Fahrzeugen nicht hoffnungslos überfordert wären.

 

Aufgrund der schwierigen technischen Voraussetzungen und den damit verbundenen hohen Kosten konnte sich das ABS im Gespann­sektor bisher nicht durchsetzen. Die einzige vollwertige ABS-Steuerung auf allen drei Rädern wird derzeit nur im Zeus-Gespann der Firma Side-Bike angeboten.

 

 

4. Gespanntraining, Ablauf

(Beispielhafte Schilderung eines Gespanntrainings von Pro-Sidecar)

 

Sicherheit bedeutet Fahrspaß

Viele Motorradfahrer haben das Fahren mit Beiwagen ohne Hilfe und Anleitung gelernt. Doch verschweigen manche gerne die brenzligen Situationen, die sie als unerfahrene Anfänger oftmals nur mit Glück überstanden haben. Die zwei gefährlichsten Momente sind: Die ersten Kurven und später, wenn man glaubt, „jetzt kann ich's“.

Aufgrund der komplexen Abläufe beim Gespannfahren, des dichten Verkehrs und nicht zuletzt der leistungsstarken Umbauten empfiehlt es sich, das Gespann­fahren nicht in Eigenregie, sondern unter kompetenter Anleitung bei einem Gespanntraining zu erlernen. Im Folgenden stellen wir den prinzipiellen Ablauf eines Dreitages-Gespanntrainings vor, das die Firma Pro Side-car anbietet.

 

Tag der Anreise

Nach dem Bezug der Hotelzimmer treffen sich Teilnehmer und Instruktoren am Donnerstagabend zur Begrüßungsrunde. Dabei erfahren sie den Trainingsablauf der folgenden Tage. Es folgt gemeinsames Abendessen mit anschließendem gemütlichen Beisammensein, Abendessen und Benzingesprächen.

 

 

Erster Übungstag

Gemeinsames Frühstück mit anschließender Abfahrt zum Übungsgelände.

Erarbeiten der wichtigsten theoretischen Grundlagen zum Thema Fahrwerkstechnik und Fahrphysik. Direkter Übergang zu den Grundfahrtechniken Spurbreite ertasten, Lenken, Lastwechsel und „Boot Hoch“.

 

Spurbreite

Wo ist das Beiwagenrad? Übungen zum Einschätzen der Fahrzeugbreite. Trainieren der richtigen Blickführung. Viele kritische Situationen entstehen erst gar nicht, wenn die Blickführung stimmt.

 

Lenken

Erste Einlenkübungen, Erkennen der unterschiedlichen Wendekreise rechts- oder links herum. Einfluss von Vorlauf und Vorspur des Beiwagenrades sowie Nachlauf des Vorderrades auf die Lenkung.

 

Lastwechsel

Erkennen der Lastwechselreaktionen beim Gasgeben und Gaswegnehmen und der daraus resultierenden Handlungsmuster zum Thema Kurvenfahren. Umsetzen beim Slalomfahren. Grundlagen zum Thema Schwerpunkt und der sich daraus ergebenden Fahrzeugreaktionen. Durchspielen von verschiedenen Beladungszuständen. (Urlaubsgepäck, Kinder oder Beifahrer ins Boot oder auf den Rücksitz? Warum, warum nicht?)

 

Beiwagenrad hebt ab

Besprechung des Themas Schwerpunkt und Schwerpunktverschiebung bei verschiedenen Beladungszuständen. Auswirkung der Fliehkraft bei Rechtskurven.

Erkennen der verschiedenen Kipplinien. Entwickeln eines Fahrgefühls für das mögliche Abheben des Beiwagenrades in Rechtskurven.

 

Links- und Rechtskurve

Durch die verschiedenen Kippachsen und die daraus resultierenden Unterschiede bei Rechts- und Linkskurven ist es notwendig, die Unterschiede im Gespannkurs intensiv zu erarbeiten.

Gemeinsame Rückfahrt zum Hotel und gemeinsames Abendessen. Reflexion der gemachten Erfahrungen und Ausblick auf den folgenden Tag. Gemütlicher Ausklang mit Erfahrungsaustausch.

 

Zweiter Übungstag

Gemeinsames Frühstück und Abfahrt zum Übungsgelände. Tag des Bremsens.

Verstehen der unterschiedlichen Bremssysteme und des daraus resultierenden unterschiedlichen Bremsverhaltens der Gespanne. Einstieg in das wichtige Thema Bremsen mit Besprechung der Bremssysteme an den Teilnehmer-Gespannen.

Theoretisches Erarbeiten der möglichen Handlungsmuster: Ausweichen, Bremsen sowie beides gleichzeitig.

Thema "Plötzlich auftauchendes Hindernis": Praktisches Erfahren des Handlungsmusters "Ausweichen" nach links oder rechts unter Berücksichtigung der verschiedenen Kipplinien. Vorübungen zum Kennenlernen der Bremsreaktionen der Gespanne.

 

Unterschiedliches Bremsverhalten bei verschiedenen Beladungszuständen des Gespanns erkennen.

 

Praktische Umsetzung des Themas Notbremsung mit den verschiedenen Bremssystemen und variierenden Randbedingungen wie Geschwindigkeit, Beladung, Reaktionszeit etc.

Vergleiche der verschiedenen Bremswege bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten sowie der Einfluss des Fahrzeuggewichtes auf den Bremsweg. Verdeutlichung der dabei entstehenden Restgeschwindigkeit: Wie schnell ist beispielsweise ein Fahrzeug aus 70 km/h noch an der Stelle, an der es bei 50 km/h Ausgangsgeschwindigkeit zum Stehen gekommen wäre?

 

Kombination von Bremsen und Ausweichen zu „BLA“ (Bremsen – Bremsen lösen – Ausweichen) und Diskussion der Ergebnisse der praktischen Versuche.

Vergleich der Notmanöver: Bremsen, Ausweichen sowie BLA und Wertung in der Gruppe.

Es folgt eine kleine Ausfahrt in die nähere Umgebung mit Rückfahrt zum Hotel. Abends Diskussion mit den Teilnehmern mit einem Ausblick auf den folgenden Tag.

 

Letzter Tag

Thema Kurvenfahren: Kurvenlinien, Gefahrenlehre (Lesen der Fahrbahn). Bestandteile einer Kurve, erkennen von möglichen Kurvenlinien und der richtigen Blickführung.

Anschließend Ausfahrt in die nähere Umgebung. Abschlussbesprechung und gemeinsames Mittagessen mit Ausgabe der Teilnehmerurkunden. Abreise.

 

 

Warum sollte sich der Neuling für einen Gespannlehrgang entscheiden?

- Ein Training bietet einen didaktischen Aufbau von leicht zu schwer. Im Alleinstudium dagegen neigt der Mensch schnell dazu, mit schwierigen Dingen zu beginnen und falsches Verhalten zu erlernen.

- Nach jeder Übung wird das Ergebnis mit den Teilnehmern direkt besprochen. Dadurch ist eine genauere Selbsteinschätzung möglich.

- Unter fachkompetenter Anleitung geht der Teilnehmer eher an seine persönlichen Grenzen heran, jedoch nicht darüber hinaus.

- Durch die verschiedenen Gespanne, mit denen die Übungen gefahren werden, kann der Teilnehmer/die Teilnehmerin sofort sehen, welche Auswirkungen die unterschiedlichen Gespannkonzepte auslösen.

- Der Informationsaustausch über das Erlernte zwischen den Teilnehmern vertieft den Stoff.

- Das Training kann auch als Hilfe zur Kaufentscheidung genutzt werden. Nicht selten hört man den Spruch: „Wenn ich das vorher gewusst hätte!“

- Bei manchen Anbietern sind Kurse mit einem Leihgespann möglich. Daher kann der Interessent zunächst testen, ob es überhaupt Spaß macht, bevor er sich ein Gespann zulegt.

 

Ein Gespannkurs lohnt sich nicht nur für Einsteiger. Auch Gespannfahrer mit langjähriger Erfahrung können bei den angebotenen Kursen und Lehrgängen immer wieder Neues Lernen und gefahrlos auf abgesperrtem Gelände verschiedene Fahrsituationen testen.