Beiwagenantrieb

P.V. Mokharov aus der Sowjetunion und H.P. Baughn aus Großbritannien bauten 1929 als Erste Gespanne mit angetriebenem Seitenwagenrad. Baughns Gespanne waren Anfang der 1930er Jahre bei Trial-Veranstaltungen so erfolgreich, dass die ACU versuchte, sie aus dem Wettbewerb zu verbannen. Viele Unternehmen experimentierten mit dem Zweiradantrieb bei Sportveranstaltungen, und Unternehmen setzten ihn vor Beginn des Zweiten Weltkriegs auch in Militärfahrzeugen ein.

 

Mit einem angetriebenen Seitenwagenrad könnte, ähnlich wie bei einem gut ausgelegten Bremssystem, ein Kräftegleichgewicht erreicht werden. Wenn ein solcher Seitenwagenantrieb ständig eingeschaltet ist, gehört Schiefziehen der Vergangenheit an.

 

Doch auch wenn die übertragbare Antriebskraft des Hinterrades an ihre Grenzen stößt, ist der Beiwagenantrieb sinnvoll. Verteilt man den Antrieb auf zwei Räder, muss natürlich jedes Antriebsrad nur einen Teil der Last übernehmen und erreicht seine Grenzen später. Eine bessere Steigfähigkeit speziell im Winter und leichteres Anfahren auf Schnee oder im matschigen Gelände sind die Vorteile. Die Technik kann hier einfacher gestaltet werden, es reicht, wenn der Antrieb in schwierigen Situationen zugeschaltet wird.

 

Man unterscheidet zwei Typen von Antriebssystemen: Den permanenten Seitenwagenantrieb zur Verbesserung des Fahrverhaltens und den zuschaltbaren zur Erhöhung der Vortriebskräfte in Extremsituationen.

 

Ein angetriebenes Seitenrad hat auch Nachteile. Da mit dem Gespann nicht nur geradeaus gefahren wird, muss ein Seitenwagenantrieb bei Kurvenfahrt gewährleisten, dass Hinterrad und Seitenrad mit unterschiedlichen Kurvenradien laufen können

 

Bei einer eng gefahrenen Rechtskurve (Beiwagen rechts) muss sich das Hinterrad um ca. 30% schneller drehen können als das Seitenrad. Und das ist nicht möglich, wenn eine starre Verbindung zwischen den beiden Antriebsrädern besteht.

 

Um das Kurven fahren zu ermöglichen, muss ein starrer Antrieb zur Erhöhung der Vortriebskräfte abschaltbar sein. Das Zu- und Abschalten muss nicht unbedingt manuell geschehen, die Allradtechnik bei den PKW hat einige Bauelemente, z.B. die Viscokupplung, hervorgebracht, die diesen Vorgang automatisch beim Durchrutschen eines Rades durchführen.

 

Wegen der unterschiedlichen Kurvenradien benötigen wir beim permanenten Antrieb ein Ausgleichsgetriebe, also ein Differential, ähnlich wie beim PKW. Hier können sich die Antriebskraft und die Kurveneigenschaften überlagern, und die unterschiedlichen Drehzahlen sind möglich. Durch eine geschickte Konstruktion ist es möglich, die Kraft unterschiedlich auf Hinter- und Seitenrad aufzuteilen und damit den gewünschten Gleichgewichtszustand herzustellen.

 

Allerdings kann über ein Differential nur so viel Kraft übertragen werden, wie die schwächere der beiden Abtriebsseiten weitergeben kann. Steht also ein Rad auf Eis, so dreht es einfach durch, und auch das andere Rad steht kraftlos auf der Straße. Die erwünschte Wirkung in Extremsituationen ist also nicht gegeben. Erst die zusätzliche Möglichkeit, das Differential zu sperren, schafft Abhilfe.

 

Man kann die Technik so auslegen, dass durch Überlistung der asymmetrischen Geometrie das Schiefziehen des Fahrzeugs verhindert wird. Hierzu ist ein relativ großer technischer Aufwand nötig. Es reicht nicht, das Antriebsmoment einfach mittels Winkeltrieb um die Ecke zu leiten.

 

Es muss dafür gesorgt werden, dass die Antriebskräfte permanent an Hinter- und Seitenrad zu Verfügung stehen und immer ein bestimmtes Verhältnis zueinander haben. Die Tatsache, dass der Schwerpunkt eines Gespannes nicht in der Mitte zwischen den beiden angetriebenen Rädern liegt, macht es erforderlich, das Hinterrad mit einem höheren Antriebsmoment zu versorgen als das Seitenrad, dass Verhältnis beträgt etwa 2:1.

 

Zudem muss es möglich sein, dass die Räder bei Kurvenfahrt mit unterschiedlichen Drehzahlen laufen können, da sonst der Lenkeinschlag wenig Wirkung zeigt und das Gespann trotzdem geradeaus weiter fährt.

 

Das Bauteil, das diese unmöglich erscheinende Aufgabe lösen kann, heißt Planetengetriebe. In einer speziellen Bauform kommt es als Differential in jedem PKW zum Einsatz. Der einzige Nachteil einer solchen Konstruktion ist, dass der Vortrieb schlagartig zusammen bricht, wenn ein Rad durchdreht. Steht ein Rad auf Eis oder wird der Seitenwagen in der Rechtskurve angelupft, geht das andere Rad leer aus. Eine zusätzliche Sperre wird benötigt, um diesen Mangel zu beheben.

 

In den 1940er Jahren wurden die Militärgespanne von BMW und Zündapp mit aufwendiger Technik versehen, um sowohl im Gelände als auch auf der Straße ein optimales Fahrverhalten zu zeigen. Um die Antriebseinflüsse bei Straßenfahrt auszuschalten, musste das Antriebsmoment bei diesen Fahrzeugen im Verhältnis zwischen Hinter- und Seitenrad aufgeteilt werden.

 

Zu diesem Zweck wurde ein Planetengetriebe eingesetzt, dessen Zahnräder so abgestimmt waren, dass trotz gleicher Raddrehzahlen das Antriebsmoment im geforderten Verhältnis aufgeteilt wird. Gleichzeitig erlaubt dieses Bauteil auch unterschiedliche Raddrehzahlen z.B. bei Kurvenfahrt. Der Planetenträger wurde dabei direkt mit dem Tellerrad verschraubt, also von diesem angetrieben.

 

Über die Planetenräder wird das Antriebsmoment aufgeteilt und im entsprechenden Verhältnis an die beiden Abtriebswellen weitergeleitet. Über einen weiteren Stirnradsatz wird von einer der Abtriebswellen das Hinterrad versorgt. Dieser Zahnradsatz ist zwar für die Antriebstechnik nicht unbedingt notwendig, ermöglicht aber in Kombination mit einem weiteren Satz im Seitenrad eine einfache Realisierung des notwendigen Seitenradvorlaufes. An der beiwagenseitigen Antriebswelle des Differentials ist die Einrichtung an gebracht, die für einen Einsatz in Schnee oder Matsch unumgänglich ist.

 

Über eine von Hand zu bedienende Klauenkupplung kann die Antriebswelle starr mit dem Planetenträger verbunden werden. Durch diese Maßnahme werden auch beide Abtriebswellen miteinander gekoppelt, das Differential ist gesperrt. Jetzt ist maximale Traktion möglich, ein Fahren auf griffiger Fahrbahn aber nicht mehr. Das Gespann schiebt nur noch über das eingeschlagene Vorderrad, wenn ein Drehzahlausgleich nicht mehr stattfinden kann.

 

Bei den beschriebenen Fahrzeugen verbindet eine im Beiwagenrahmen verlaufende Antriebswelle das Differential mit dem Seitenrad. Da das Hinterrad starr geführt wird, muss auf Federwege hier keine Rücksicht genommen werden. Die Federung des Beiwagenrades wird dadurch gewährleistet, dass die Seitenradführung als Längsschwinge ausgeführt ist und die Federbewegung exakt um die Antriebswelle durchgeführt wird.

 

Die hier beschriebene Technik ist wohl die aufwendigste Anordnung, die bisher in einem Seriengespann verwirklicht wurde. Lediglich eine Automatisierung der Sperre könnte dieses Konzept noch perfektionieren.

 

Das Kriterium, wann eine Sperre am Differential eingreifen muss, ist dasselbe wie beim automatisch zuschaltenden BW-Antrieb. In beiden Fällen ist ein beträchtlicher Drehzahlunterschied die auslösende Kenngröße, beim Differential der Unterschied zwischen den Drehzahlen von Planetenträger und Abtriebswelle. Grundsätzlich lassen sich daher dieselben Elemente für eine automatische Sperre verwenden, die auch für eine automatische Zuschaltung eingesetzt werden können. 

 

Das Bauteil, wie hier als Beispiel eine Viscokupplung, muss dann den Planetenträger mit der Abtriebswelle „verbinden". Bei ungestörter Fahrt wird keine Kraft übertragen, die Verbindung ist offen. Die Wirkung des Differentials als Momententeiler kann voll zur Geltung kommen.

 

Auch die relativ geringen Drehzahlunterschiede bei Kurvenfahrt haben keinen nennenswerten Kraftfluss zur Folge. Erst wenn ein Rad durchdreht, findet ein Kraftschluss und damit eine Sperrung des Differentials statt. Eine solche Anordnung stellt sicher den höchsten Perfektionsgrad eines Seitenwagenantriebs dar.