Achsschenkellenkung, Grundlagen und Beispiele
Wenn wir uns an eine Achsschenkellenkung (ASL) heranwagen, müssen wir ihr Wesen verstehen. Abgesehen vom Fahreffekt, liegen Vorteile viel profanerer Art auf der Hand.
Vorteile der ASL
Kurze Kraftwege zwischen den Rädern
Entlastung des Steuerkopfs
Günstige Krafteinleitung in das Fahrwerk
Verwendung kostengünstiger PKW-Baugruppen
Lenkübersetzung möglich
Einfache, weil einseitige Radmontage
Bauliche Entkopplung von Radführung, Lenkung und Federung
Keine bauliche Einschränkung durch Abstand der ursprünglichen Gabelholme
Entlastung des Motorradrahmens besonders im Lenkkopfbereich
Geringe Massenträgheit um die Lenkachse
Frei wählbarer Radstand
Frei wählbares Verhältnis der Lenktransmission
Reifenaufstandsfläche ändert sich bei Lenkeinschlag durch steileren Lenkachsenwinkel kaum
Verstellbarkeit des Nachlaufs ohne wesentliche Radstandänderung
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Betriebsfestigkeit |
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Die Betriebsfestigkeit eines Lenksystems wird nicht nur durch eine großzügige Dimensionierung der Längs- oder Querlenker bestimmt. Auch wenn einige Gespannbauer auf einen höheren Materialeinsatz setzen, um Stabilität zu gewährleisten, kann dies lediglich als Sicherheitszuschlag gelten, ohne dass eine präzise Berechnung aller Bauteile erforderlich ist. Dies mag in Kleinstserien durchaus sinnvoll sein, birgt jedoch auch Risiken. Ein kritischer Punkt liegt in den Gelenklagern, die oft unterschätzt werden. Zwar geben Hersteller von Gelenklagern bestimmte Belastungslimits an, jedoch fehlen gesonderte Richtwerte für spezifische Anwendungen wie die axialen Belastungen der Lagereinsätze bei Gespannen. Auch die Befestigungen der Lagereinheiten und ihre Gewindeverankerungen im Chassis müssen berücksichtigt werden. Das Drehmoment, mit dem eine Kontermutter das Gewinde im Rahmenrohr sichert, spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Wird die Mutter gemäß Vorschrift angezogen, sind bereits etwa 80 % der maximal zulässigen Zugspannung erreicht, was die verfügbare Kraftübertragung erheblich reduziert. Problematisch wird es, wenn Gespannbesitzer eigenmächtig mit der Lenkungseinstellung experimentieren und die Kontermuttern nach dem Prinzip „viel hilft viel“ anziehen. In solchen Fällen kann die Zugbelastbarkeit der Verbindung schnell an ihre Grenzen stoßen. Bei einer Fahrzeugspezifikation von etwa 420 kg fahrfertigem Gewicht und 750 kg Gesamtgewicht können beim harten Bremsen im unteren Lenker dynamische Kräfte von bis zu 800 kg auftreten, wenn der obere Lenker oberhalb des Rads positioniert ist. Liegt der Lenker tiefer, können diese Kräfte sogar auf 900 bis 1100 kg steigen. Hinzu kommen beträchtliche Querkräfte, die ebenfalls die Drehgelenke und deren Schraubverbindungen stark belasten. Umso wichtiger ist es, dass die Lenkung von Fachleuten gewartet und die vom Hersteller angegebenen Inspektionsintervalle strikt eingehalten werden. Dies betrifft nicht nur die Gelenke, sondern auch die Radlager, deren Haltbarkeit ebenfalls maßgeblich für die Sicherheit des Fahrzeugs ist. Empfohlen werden speziell geschmiedete Speziallager für den Fahrwerksbau, wie sie von Anbietern wie Fluro angeboten werden. Diese bieten eine höhere Belastbarkeit und können die Lebensdauer der Lenkung und des gesamten Fahrwerks verlängern. Axel Koenigsbeck, MG 141 |
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Konstruktionsvorschlag: Bei einem PKW-Achsschenkel mit gespreizter Spur durchläuft die Lenkachse die Drehpunkte des oberen Lagertellers und des unteren Führungsgelenkes. Ohne Federelement kann ein Traggelenk exzentrisch in der Klemmfaust befestigt werden und liefert damit eine verstellbare Radaufhängung mit negativem Lenkrollradius (R). Aus Platzgründen könnte der obere Dreieckslenker als Längslenker ausgeführt werden. Bei dieser Lösung erübrigen sich Sturz und Vorspur am gelenkten Seitenrad vollständig. |
An einem PKW-Vorderrad findet sich meist nur ein Dreieckslenker mit einem Führungsgelenk, gern als Kugelkopfgelenk bezeichnet. Die tragende Funktion hingegen übernimmt das Federbein, das wiederum oben oft in einem Kugelgelenk gelagert ist.
Ein solches Prinzip gibt es im Gespannbau auch für BMW-Motorräder mit Telelever und als ALS-Lenksystem von Armec (CH), das in Deutschland von Mobec vertrieben wurde. Es stellt eine gute Synthese dar, denn Lenkung und Federung bleiben im Prinzip erhalten. Lediglich die Fahrwerkskräfte, die längs und quer zur Fahrtrichtung angreifen, werden auf kurzem Wege sehr effektiv umgeleitet.
Ein weiteres System ist populär, weil simpel aufgebaut und leicht bei vielen Motorrädern zu realisieren. Das Prinzip stammt vom Citroen 2CV, der Ente, und wurde zuerst von Jean-Claude Perrin beim Side-Bike-Kyrnos-Gespann realisiert. Zwei starke Rohre laufen von zwei Seiten hinter dem Vorderrad zusammen und münden in seiner Mitte. Dort übernimmt ein recht kleiner Achsschenkel, ein T-Stück oben und unten lenkbar gelagert, die Radnabe. Für die Lenkung ist ein Bügel vom Achsschenkel über das Rad geführt und mit den Stümpfen der Telegabel über zwei Koppelstangen verbunden. Da nur ein Dreieckslenker verwendet wird, übernimmt der auch die Aufnahme des Federbeines, das oben am Anschlusspunkt (4) angeschlagen sein kann.
Dieses Prinzip wird weiterverwendet von Sauer – allerdings mit wesentlich größerer Baulänge – und von Bode.
Man muss also bei den Dreieckslenkern (das sind nicht die Achsschenkel) zwischen tragender und führender Funktion unterscheiden. "Führungslenker" können statisch deutlich schwächer ausfallen, da sie nur Kräfte in einer Ebene übertragen müssen. Tragende Lenker müssen Kräfte räumlich übertragen und sollten entsprechend hoch bauen.
Lefévre-Achsschenkellenkung mit Führungslenker unten.
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Lefèvre-Achsschenkellenkung
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Die Frage nach käuflichen PKW-Radaufhängungen mit zwei Dreieckslenkern liegt nahe. Auch die gibt es, ganz wenige noch. Eines der Fahrzeuge, das vorn mit zwei Dreieckslsenkern und Traggelenken ausgestattet ist, sind die VW-Bus-Modelle T2, T3, T4. Im Prinzip ist es möglich, den kompletten Radsatz inklusive Bremsen zu übernehmen. Achsschenkel und Führungslenker sind aus Vollmaterial geschmiedet und durchaus filigran, dabei verfügt das Rad über beachtliche Bremsen. Die Radnabe hat einen Lochkreis 5x112, wie er auch bei großen und kleinen MB-PKW verwendet wird. Die Auswahl an Alufelgen ist immens.
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Einfach, genial und leichtgängig: Ein simpler Längslenker. Die Kinematik ähnelt der Vorderradaufhängung des Citroën 2CV. Der Nachlauf wird beim Bremsnicken länger. Ursprünglich von Side-Bike für den Kyrnos entworfen, wird er inzwischen von anderen Gespannherstellern adaptiert. |
Eine weitere, schöne Konstruktion sind Achsschenkel in Bundbolzentechnik. Im Gespannbau wurde sie noch nicht verwendet, es muss aber aus einem oben angeführtem Aspekt behandelt werden: englische PKW-Speichenräder. Ein solcher Achsschenkel ist minimalistisch, für eine Verwendung im Gespannbau geradezu ideal.
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MG-Achsschenkel in Bundbolzentechnik |
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Kraftweg Achsschenkellenkung, der Steuerkopf wird entlastet. |
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In den lenkbaren Bronzebuchsen werden die Querlenker gelagert. Einer von beiden, meist der untere, muss das Federbein aufnehmen. Der geschmiedete Achsschenkel verfügt über Bohrungen für Bremssanker und Lenkhebel, bietet also die besten Voraussetzungen, um eine spezielle Gespannlenkung anzubringen. Ähnliche Achsschenkel sind noch als Neuteil zu haben, beispielsweise für den "Bretzelkäfer" mit Bundbolzenvorderachse oder die Fiat 500/600 und 850. Besonders interessant im Falle des MG ist aber die gleichzeitige Verwendung von Bremsscheibe, -sattel und Speichenrad.
Beide Lenkungssysteme weisen eine sogenannte Spurspreizung auf, das heißt: Die Lenkachse steht seitlich schräg, damit ihr Schnittpunkt mit der Fahrbahn mittig unter dem Rad liegt. Der Angelpunkt für das Lenkgestänge kann damit mitten über dem Rad liegen und im Falle des rechtslaufenden Beiwagens nur vom linken Gabelholm betätigt werden.
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Achsschenkellenkung mit Spurspreizung (links) und ohne (rechts)
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Gespannbauer ziehen meist eine Lösung ohne Spreizung vor, das setzt jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit den in Frage kommenden Trag- und Führungsgelenken und geschweißte Dreieckslenker voraus.
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Der Längslenker am Vorderrad der Yamaha GTS 1000 (1992). |
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Die Verbindung mit geringem Nachlauf und nicht geneigter Lenkachse ergibt eine Vorderradführung, bei der das Rad auch in der Kurve flach am Boden stehen bleibt. Das ist allerdings ein umstrittener Vorteil, denn in der Kurve wird die Auflagekraft auf dem Rad im Verhältnis zur angreifenden Axialkraft relativ geringer, das Rad neigt dazu, auf der Fahrbahn zu "surfen", auch in der Personenfahrzeugentwicklung verlässt man diese Konstruktion. In der Kurve steht der Pneu anders am Boden, als wir es im Stand wahrnehmen können. Das sich neigende Rad hat auch beim symmetrischen Dreirad Tradition. Ich plädiere dafür, dies beizubehalten.
(Olaf Schulze, 2015)